| Das Pflichtenheft |
Das Pflichtenheft ist 'das Ergebnisdokument einer
Anforderungsdefinition.' Es ist verbal, aber mehr oder weniger
streng formalisiert, und dient häuftig als
Vertragsgrundlage zwischen Kunde und Softwarehersteller.
Hat man bereits ein Lastenheft erstellt, kann man dies sinnvoll
zum Pflichenheft fortschreiben (wir machen genau das mit dem
Lastenheftschema). Genauer beschreiben läßt sich ein
Pflichtenheft mit den Eigenschaften
- Adressaten
- Kunde oder Kunden/Benutzerrepräsentant einerseits,
Softwareproduzent durch Projektleiter/Systemanalytiker
andererseits.
- Aufgabe
-
Enthält alle fachlichen Anforderungen an der
Produkt aus Sicht des Auftraggebers.
- Inhalt
-
Beschrieben wird was geleistet werden soll, nicht
wie die Leistung entsteht. Festgelegt werden muß
der gesamte fachliche Funktions- , Daten-, Leistungs- und
Qualitätsumfang. Das Pflichtenheft muß Grundlage eines
Vertrages sein können, d.h. anhand der hier beschriebenen
Forderungen muß das Endprodukt abgenommen werden können.
- Form
-
Die Form folgt einer standardisierten Gliederung. Die
Aufgaben werden verbal detailliert beschrieben. Die Einzelpunkte
werden für spätere Bezüge sauber numeriert.
- Lesbarkeit
-
Das Pflichtenheft sollte gut lesbar sein und damit eine
leichte Einarbeitung in das Projekt ermöglichen.
So sollten z. Bsp. Mitarbeiter, die später zum Projet
dazustossen, nach lesen des Pflichteheftes in der Lage
sein im Projekt ohne grössere Schwierigkeiten
mitzuarbeiten.
- Zeitpunkt
-
Das Pflichtenheft ist das erste Dokument nach der Planungsphase.
Die Erstellung erfolgt iterativ. Nach der Fertigstellung
erfolgen ggf. notwendige Änderungen, aber nur nach Absprache und
ggf. Zusatzvertrag mit dem Kunden.
- Umfang
- Der Leistungsumfang muß aus Sicht des Auftraggebers auf
hinreichendem Abstraktionsniveau detailliert genug
beschrieben werden können. Der Umfang ist also nicht
beschränkt. Andererseits ist ein zu langes Pflichtenheft
nicht mehr lesbar.
Ein mögliches Plichtenheftgliederungsschema
folgt. Die dort aufgeführten Beispiele geben im Fließtext die
Zuordnung der Sätze zur Gliederung an, für ein Pflichtenheft
müßten sie bei den entsprechenden Punkten aufgestellt sein.
(Das Schema ist auch ohne
Anmerkungen zu haben)
- Zielbestimmung:
- Mußkriterien
- Sollkriterien
- Muß-Nicht-Kriterien
Im Unterschied zum Lastenheft wird genau zwischen unbedingten
und wünschenswerten Leistungen unterschieden. Außerdem wird
festgelegt, welche Anforderungen der Produkt nicht notwendig
erfüllen sollte oder muß.
- Beispiel:
- Ein geplantes Textverarbeitungsprogramm (1) muß
Silbentrennung beherrschen, (2) Rechtschreibcheck und -korrektur
ist wünschenswert, und (3) beides muß in Spezialfällen nicht
automatisch funktionieren, es kann dann interaktiv
nachgefragt werden.
- Produkteinsatz
- Anwendungsbereiche
- Zielgruppen
- Betriebsbedinungen
- Beispiel:
- (1)Die o.g. Textverarbeitung soll im
Redaktionsbetrieb einer Zeitung (Büro) eingesetzt
werden. (2) Sie wird von den Redakteuren bedient, die EDV-kundig
sind, aber bislang nur DROW-3 benutzt haben. (3) Das Produkt
wird von einer EDV-Systemgruppe installiert und
vollzeit-betreut.
- Beispiel:
- Eine Software ist (1) für Geldautomaten
vorgesehen. (2) Die Bedienung erfolgt durch
Benuter alle Art. (3) Die Software wird nicht vor Ort
gepflegt. Sie muß nach Installation im 24h-Betrieb funktionieren,
Die Eingaben sind durch den Automaten beschränkt.
- Produktumgebung
- Software
- Hardware
- Orgware
- Schnittstellen
- Beispiel:
- Die Textverarbeitung soll von den Redakteuren
(2) auf Rechnern mit Intel-Prozessoren unter (1) dem
Betriebssystem OS/2 mit üblichem Umfeld: (2) Maus, Keyboard,
Farbmonitor in SVGA-Auflösung. Die Ausgabe
erfolgt zunächst auf (2) HP5-kompatiblen Laserduckern und dann
auf (2) einer Satzmaschine der Fa. Linotype mit den dort
beschafften Zeichensätzen (in 1200dpi). Damit der
Datentransport zur Satzmaschine sinnfoll erfolgen kann, müssen
die Redakteursrechner über (3) Ethernet mit der Satzmaschine
verbunden sein. Das erleichtert auch die verteilte
Datenhaltung der Lexika und der fertigen Artikel auf einem (3)
Server. Die Software sollte (4) Daten aus dem Office-Paket
übernehmen können, und Bilder aus (4) Adobe-Photoshop.
- Produktfunktionen
- Funktion 1
- Funktion 2
- ...
Hier ist darauf zu achten, Muß-Funktionen und
Soll-Funktionen deutlich zu kennzeichen. Größerer
Einzelfunktionen sind mit sauberer Untergliederung genauer
durch Unterfunktionen zu beschreiben. Hier sollte also
pro Punkt eine gewünschte Funktion (die später im Programm so
zur Verfügung steht) mit einem Satz beschrieben werden.
- Beispiel:
- Der (1) Erfassen von Texten mit (2) Bildern
ist notwendig. (3W) Freies Positionieren der Bilder ist
wünschenswert. Zur Texterfassung soll (1.1) Blockmarkierung
und Behandlung mit der Maus möglich sein. ...
- Produktdaten
- Daten 1
- Daten 2
- ...
Wie bei den Funktionen wenn nötig genauere Untergliederung vornehmen.
- Beispiel:
- (1) Die fertigen Artikel müssen in komprimierter,
aber einfach referenzierbarer Form archiviert werden.
- Leistungen:
Ggf. sind besonderer Leistungsdaten
festzuhalten. Nummerierung wie oben.
- Beispiel:
- Bei der Silbentrennung sollte die Fehlerrate
nicht über 0.5% liegen.
- Benutzeroberfläche:
Bildschirmlayout, ggf. Tastaturmakros, Drucklayout
Dialogstruktur etc. werden hier festgelegt.
- Beispiel:
- (1) Die Gesamtseite muß auf dem Monitor
dargestellt werden können. (2) Die Anweisungen zum Satz, Druck
erc. sollen über Fall-Down-Menüs mit Windows96-Look&Feel
gehandhabt werden.
- Qualitätsziele:
Hier muß in meßbarer Form niedergelegt werden, welche
Qualitätsbedingungen das Produkt erfüllen muß.
- Beispiel:
- (1) Bei Störungen im Netzwerk dürfen keine
Daten verlorengehen. (2) Datenverlust darf nicht bei einer
einzigen Fehlbedienung auftreten.
- Testszenarien/Testfälle:
- Test1
- Test 2
- ...
Hier sind Testszenarien vorzustellen, die die Gesamtfunktion
(oder zumindest mehrere Einzelfunkionen)
überprüfen und zu Abnahmezwecken verwendet werden können.
- Beispiel:
- (1) Zum Test des verlangten Umgangs mit
Netzstöruungen wird ein Arbeitsplatz während
einer Artikelerstellung vom Netz getrennt. Es dürfen keine
Daten verlorengehen, und die Daten sollten transparent an
einem anderen Arbeitsplatz weiterbearbeitet werden
können. (2) ...
- Entwicklungsumgebung:
- Software
- Hardware
- Orgware
- Schnittstellen
Entwicklungshard- und Software ist festzulegen, sofern sie
nicht mit der Zielhardware
übereinstimmt. Für die Entwicklung benötigte
(Software-)Hilfsmittel wie Compiler etc. sollten aufgeführt
werden.
- Beispiel:
- Entwickelt wird unter und für das
(1) Betriebssystem Windows95 auf Rechnern der
(2) Intel-Pentium-Architektur. Es wird ein
InterData-C-Compiler und die Internetsoftware Explorer-X.3
benutzt. Als Ersatz für die Linotype wird eine
Simulationshardware eingesetzt, deren Programmierung durch
den Softwareanbieter nach Handbüchern zu
erstellen ist. ... Für Testzwecke steht ein (2) üblicher
Zielarbeitsplatz zur Verfügung, und in Freizeiten darf nach
Absprache bis zu 100h gesamt auf die
Satzmaschine zugegriffen werden.
- Ergänzungen:
Besondere Absprachen, die nicht durch die vorangehenden
Punkte abgedeckt sind.
- Beispiel:
- Zur Installation steht der Ostersonntag zur
Verfügung, bei Problemen ggf. noch der Vormittag des
Ostermontags zur Verfügung. Am Ostermontag-Nachmittag muß
der Betrieb des alten oder neuen Systems bei einer
Konventionalstrafe von DM 180000 gewährleistet sein.
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Dietmar Lammers
Last modified: Fri Apr 30 13:32:43 MET DST 1999